Jahrbuch Musiktherapie (Band 13)

Inhaltsverzeichnis von Musiktherapeutische Umschau – Themenheft 2017 ‚Übergänge‘

Übergänge sind das Schwerste: Das merkt man beim Tapezieren ebenso wie bei der Beschreibung psychologischer Phänomene. Was unterscheidet Übergänge von den Gestalten? Welche Bedeutung haben sie im Alltag, in der Musiktherapie und in der Musik selbst? Wie geht das Eine ins Andere über? Wie garantieren Übergänge haltbare Verbindungen und wie gestalten sich Übergänge zu etwas, was noch nicht ist? Diesen Fragen wird aus der Perspektive der Tiefenpsychologie, Gestaltpsychologie und der Morphologischen Psychologie nachgegangen. Als Beispiele dienen u. a. die Übergangsgestalt des Hineinkommens, die Arbeit mit alten Menschen, die Migration, die musikalische Modulation, ein Stück aus der Neuen Musik, die Übergänge von Musik und Sprache, das musikalische Improvisieren und das Musikhören in der geleiteten Imagination mit Musik (GIM).

Der vorliegende Beitrag beschreibt unterschiedliche Dimensionen des Phänomens Übergang für die Disziplinen Musiktherapie und Musikpädagogik. Dabei wird einerseits herausgearbeitet, welche außerklinischen Perspektiven für Musiktherapeuten denkbar sind. Andererseits werden Legitimationen für musiktherapeutische Ansätze und Methoden im strittigen Feld des Übergangs zwischen Therapie und Pädagogik vor dem Hintergrund einer sich ebenfalls in Übergängen befindlichen Gesellschaft analysiert. Die Notwendigkeit einer deutlichen Differenzierung zwischen musiktherapeutischen und musikpädagogischen Ansätzen wird ausführlich begründet.

Ein zu früh geforderter Übergang von der intra- in die extrauterine Welt stellt erhebliche Anforderungen an Frühgeborene. Nahezu alle diese Kinder müssen direkt nach der Geburt auf einer neonatologischen Intensivstation betreut werden. Hier ist das betroffene Kind zahlreichen Reizen ausgesetzt, die seine Verarbeitungskapazitäten übersteigen können. Eine postnatale musiktherapeutische Begleitung in dieser Zeit erhebt den Anspruch, Frühgeborene und ihre Bezugspersonen bei der Bewältigung des Übergangs zu unterstützen. Dabei knüpfen Musik und die Mutterstimme an frühe erste akustische intrauterine Erfahrungen an. Auf diese Weise soll für das Kind eine förderliche Verbindung zwischen der Zeit im Mutterleib, auf der reizüberflutenden Intensivstation und später zu Hause entstehen. Die Eltern werden in der Zeit des Klinikaufenthalts dabei unterstützt, einen positiven Kontakt und eine Bindung zu ihrem Neugeborenen aufzubauen und das Kind in seinen eigenen Regulationsbemühungen zu unterstützen. Der Beitrag verbindet Beobachtungen der Autorin in der klinischen Praxis mit internationalen Forschungsergebnissen.

Die Adverse Childhood Experiences (ACE) Studien (Studien zu Kindheitstrauma und Gewalt) zeigen eine longitudinale Beziehung zwischen Kindheitstraumata und dem hohen Risiko für Gesundheitsfolgen im Erwachsenenalter. Der Glaube, als ein persönliches Vertrauen in etwas Wertvolles, kann für Jugendliche angesichts von Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Zukunft eine Ressource für das Entwickeln einer positiven Orientierung sein. Die beschriebene Studie untersucht in Liedern Jugendlicher, die extreme Belastungen und Traumata erlebt haben, die Entwicklung von Glauben. Die kombinierte kunstbasierte (arts-based) und analytische Liedanalyse verdeutlicht im Ergebnis drei Lied-Kategorien für Traumastufen: Lieder, die vor Verwundbarkeit schützen, Lieder des Verlassenseins, und Lieder des Glaubens und der Liebe. Dies wird durch James Fowlers Modell der Entwicklung des Glaubens theoretisch fundiert. Für Musiktherapeuten wird ein entsprechendes Modell für Songwriting vorgestellt, um Jugendliche in Glaubensfragen während des Übergangs ins Erwachsen werden zu helfen. Dieses Modell besteht aus drei Phasen: Nachahmung, Entwicklung der Selbstreflexion, Entwicklung der Selbstliebe. Es werden die damit zusammenhängenden Vorstellungen und Anwendungsmöglichkeiten dieses Modells diskutiert.

Die Zeit des Übergangs in das Erwachsenenalter bringt für eine Vielzahl junger Menschen einen enormen Leidensdruck mit sich. Dieser Druck äußert sich nach den Erfahrungen der Autorin im musiktherapeutischen Setting in zwei entgegengesetzten Qualitäten, wie einer möglichst perfekten Darstellung des eigenen Selbst oder einer qualvollen Stille. Der vorliegende Beitrag berichtet aus der musiktherapeutischen Tätigkeit mit jungen Erwachsenen in teilstationärer Behandlung, die sich in der neu eingeführten, als eigenständig postulierten Entwicklungsphase „Emerging Adulthood“ befinden. Gemeinsamkeiten in der Vorgeschichte der Patienten werden einleitend skizziert und soziologische Merkmale dieser Entwicklungsphase von Menschen im Alter zwischen ungefähr zwanzig und dreißig Jahren beschrieben.

In diesem Artikel werden Übergänge zwischen Formen des Körperkontakts, welche von der Autorin in der ‚Körper-Bewegungs-Musik-Partitur für Musiktherapie‘ spezifiziert und klassifiziert wurden, vorgestellt. In einer Fallvignette wird ein Patient mit einer Schizophrenieerkrankung vorgestellt. Dabei steht die Symptomatik der Schizophrenie mit ihrem körperlichen Ausdruck im Fokus. Anhand von drei Szenen aus der musiktherapeutischen Behandlung werden Übergänge zwischen Formen körperlicher Berührung beschrieben.

Der Beitrag vermittelt anhand einer Fallvignette einen Einblick in das therapeutische Potenzial der Methode Guided Imagery and Music (GIM). Imaginative Musikreisen zu bestimmten Musikzusammenstellungen sowie die anschließend gemalten Resonanzbilder des Klienten veranschaulichen die Entwicklungsschritte, die zu Übergängen, Überschreitungen und Überschreibungen alter Muster führen können. Eine besondere Rolle spielen in dieser Vignette die imaginierten inneren Gefährten des Klienten.

Das Tätigkeitsfeld der Palliativmedizin wird häufig auf den Übergang vom Leben zum Tod reduziert. Diese Beschreibung ist jedoch nicht hinreichend. Palliativ betreute Patienten befinden sich in einer sehr komplexen Lebensphase, die geprägt ist von verschiedensten Übergängen. Die Musiktherapie stellt hier mit ihrer menschlichen Haltung und der Vielfalt ihrer Wirkweisen eine wichtige Berufsdisziplin in der Begleitung Betroffener dar. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Palliativmedizin sowie die Situation des Patienten und beschreibt darüber hinaus Setting, therapeutische Haltungen, Methoden und Wirkweisen der Musiktherapie. Geradezu wortwörtlich ‚palliativ‘, also im ursprünglichen Sinne der Wortbedeutung ummantelnd, wirkt dabei das atmosphärische Fürspiel, ein Phänomen, das anhand des vom Autoren geprägten Begriffs der ‚Musikalischen Blase‘ tiefergehend dargestellt wird.

Enthält eine Buchbesprechung zu: Cheryl Dileo (Hg.): Envisioning the Future of Music Therapy. Temple University, eBook, 2016, 161 Seiten. Online: http://www.temple.edu/boyer/documents/ENVISIONING_THE_FUTURE.pdf.

Enthält eine Buchbesprechung zu: Peter Waldmann: Der konservative Impuls. Wandel als Verlusterfahrung. Hamburger Edition, Hamburg 2017, 244 Seiten. ISBN 978-3-86854-307-0.