Populäre Musik als Herausforderung für die Musikpsychologie. Eine kritische Bilanz
Author(s) / Creator(s)
von Appen, Ralf
Abstract / Description
Musikpsychologie und Popularmusikforschung haben sich in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren weitgehend isoliert voneinander entwickelt, sodass der Korpus empirischer Studien mit direktem Bezug auf populäre Musik bis heute überschaubar geblieben ist. Dies ist nicht zwingend zu kritisieren, wenn man davon ausgeht, dass es der Anspruch der Musikpsychologie ist, systematische Aussagen zu treffen, die unabhängig von konkreten Musikkulturen gültig sind. Tatsächlich muss man aber feststellen, dass der weitverbreitete Verzicht auf Beispiele und Stichproben aus dem Bereich der populären Musik etwa in Performance-, Lern-, Entwicklungs- oder Kompositionsforschung zur Folge hat, dass die Ergebnisse keineswegs Allgemeinheit beanspruchen dürfen und statt dessen nicht selten implizit eine bürgerliche Hochkultur-Ästhetik fortschreiben. Die Ursachen für die Distanz der beiden Disziplinen liegen z. T. in der persönlichen Sozialisation der Forscher und in ihrer zunehmenden Spezialisierung; vor allem aber - auf tieferer Ebene - in grundsätzlich differierenden Erkenntnisinteressen und gesellschaftspolitischen Absichten begründet. Während es der Musikpsychologie mit dem Ziel nomothetischer Ergebnisse um das musikbezogene Verhalten, Erleben und Bewusstsein des ,Menschen an sich' geht, versucht die Popularmusikforschung, über das Medium der Musik etwas über das soziale Wesen Mensch in seiner gegenwärtigen Kultur zu erfahren - mitunter auch wertend und mit auf Veränderung zielendem Anspruch. Will sie nicht an Relevanz verlieren, muss sich die Musikpsychologie intensiver mit der am weitesten verbreiteten Musikkultur unserer Zeit auseinander setzen und stärker als zuvor soziale und kulturelle Aspekte integrieren. Zugleich sollte auch die Popularmusikforschung ihren Horizont um die empirischen Methoden erweitern und das breite Angebot musikpsychologischer Publikationen nicht länger ignorieren, denn in vielen aktuellen Forschungsfeldern - etwa der (Rezeptions-)Analyse populärer Musik, der Ästhetik, der Identitätsbildung und der Distinktion, der Gender-Thematik oder der Kanonbildung - verspricht die multidisziplinäre Verzahnung den ergiebigsten Weg, die bestehenden Lücken zu schließen.
Due to a significant separation in the development of the fields of music psychology and popular music research in Germany over the past 25 years, there are still few empirical studies focusing on popular music today. This is not necessarily detrimental, considering that it is the aim of psychology to produce systematic findings that are universal and unbound to any specific musical culture. But in fact, ignoring examples from the realm of popular music (e. g. in the studies of performance, learning, development or composition) results in conclusions that are not of universal validity and, instead, imply a bourgeois ideology of highbrow culture. The reasons for the disciplines' isolation from each other partly lie in the individual researchers' socializations and in their increasing specialization. But most of all, both disciplines differ on the much more basic levels of epistemological interest and sociopolitical ambitions. While it is the interest of music psychologists to discover nomothetic laws concerning music related behavior, experience, and cognition, research in the field of popular music studies tries to understand current developments in our culture by interpreting music as a social indicator. In contrast to the (supposedly) neutral methods of psychology, it sometimes does make value judgments and seeks social change. If the psychology of music is to remain relevant, researchers must consider the most common music of our time more closely and generally will have to increase their attention to music' s social and cultural aspects. On the other hand, popular music researchers should no longer hesitate to adopt empirical methodology and should take more notice of the literature of music psychology. To increase our knowledge in fields like analysis, aesthetics, identity and distinction, gender or canonization the disciplines need to work together closely.
Keyword(s)
Musik Populärkultur Psychologie Music Popular Culture PsychologyPersistent Identifier
Date of first publication
2012
Is part of
Auhagen, W., Bullerjahn, C. & Höge, H. (Hrsg.). (2012). Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Band 22: Populäre Musik. Göttingen, Deutschland: Hogrefe.
Publisher
Hogrefe
Citation
von Appen, R. (2012). Populäre Musik als Herausforderung für die Musikpsychologie. Eine kritische Bilanz. In W Auhagen, C Bullerjahn & H Höge (Hrsg.), Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Band 22: Populäre Musik. Göttingen, Deutschland: Hogrefe.
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Author(s) / Creator(s)von Appen, Ralf
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PsychArchives acquisition timestamp2020-05-20T15:29:01Z
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Made available on2020-05-20T15:29:01Z
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Date of first publication2012
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Abstract / DescriptionMusikpsychologie und Popularmusikforschung haben sich in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren weitgehend isoliert voneinander entwickelt, sodass der Korpus empirischer Studien mit direktem Bezug auf populäre Musik bis heute überschaubar geblieben ist. Dies ist nicht zwingend zu kritisieren, wenn man davon ausgeht, dass es der Anspruch der Musikpsychologie ist, systematische Aussagen zu treffen, die unabhängig von konkreten Musikkulturen gültig sind. Tatsächlich muss man aber feststellen, dass der weitverbreitete Verzicht auf Beispiele und Stichproben aus dem Bereich der populären Musik etwa in Performance-, Lern-, Entwicklungs- oder Kompositionsforschung zur Folge hat, dass die Ergebnisse keineswegs Allgemeinheit beanspruchen dürfen und statt dessen nicht selten implizit eine bürgerliche Hochkultur-Ästhetik fortschreiben. Die Ursachen für die Distanz der beiden Disziplinen liegen z. T. in der persönlichen Sozialisation der Forscher und in ihrer zunehmenden Spezialisierung; vor allem aber - auf tieferer Ebene - in grundsätzlich differierenden Erkenntnisinteressen und gesellschaftspolitischen Absichten begründet. Während es der Musikpsychologie mit dem Ziel nomothetischer Ergebnisse um das musikbezogene Verhalten, Erleben und Bewusstsein des ,Menschen an sich' geht, versucht die Popularmusikforschung, über das Medium der Musik etwas über das soziale Wesen Mensch in seiner gegenwärtigen Kultur zu erfahren - mitunter auch wertend und mit auf Veränderung zielendem Anspruch. Will sie nicht an Relevanz verlieren, muss sich die Musikpsychologie intensiver mit der am weitesten verbreiteten Musikkultur unserer Zeit auseinander setzen und stärker als zuvor soziale und kulturelle Aspekte integrieren. Zugleich sollte auch die Popularmusikforschung ihren Horizont um die empirischen Methoden erweitern und das breite Angebot musikpsychologischer Publikationen nicht länger ignorieren, denn in vielen aktuellen Forschungsfeldern - etwa der (Rezeptions-)Analyse populärer Musik, der Ästhetik, der Identitätsbildung und der Distinktion, der Gender-Thematik oder der Kanonbildung - verspricht die multidisziplinäre Verzahnung den ergiebigsten Weg, die bestehenden Lücken zu schließen.de_DE
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Abstract / DescriptionDue to a significant separation in the development of the fields of music psychology and popular music research in Germany over the past 25 years, there are still few empirical studies focusing on popular music today. This is not necessarily detrimental, considering that it is the aim of psychology to produce systematic findings that are universal and unbound to any specific musical culture. But in fact, ignoring examples from the realm of popular music (e. g. in the studies of performance, learning, development or composition) results in conclusions that are not of universal validity and, instead, imply a bourgeois ideology of highbrow culture. The reasons for the disciplines' isolation from each other partly lie in the individual researchers' socializations and in their increasing specialization. But most of all, both disciplines differ on the much more basic levels of epistemological interest and sociopolitical ambitions. While it is the interest of music psychologists to discover nomothetic laws concerning music related behavior, experience, and cognition, research in the field of popular music studies tries to understand current developments in our culture by interpreting music as a social indicator. In contrast to the (supposedly) neutral methods of psychology, it sometimes does make value judgments and seeks social change. If the psychology of music is to remain relevant, researchers must consider the most common music of our time more closely and generally will have to increase their attention to music' s social and cultural aspects. On the other hand, popular music researchers should no longer hesitate to adopt empirical methodology and should take more notice of the literature of music psychology. To increase our knowledge in fields like analysis, aesthetics, identity and distinction, gender or canonization the disciplines need to work together closely.en_US
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Publication statuspublishedVersion
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Review statuspeerReviewed
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External description on another websitehttps://www.pubpsych.de/get.php?id=0260570
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Citationvon Appen, R. (2012). Populäre Musik als Herausforderung für die Musikpsychologie. Eine kritische Bilanz. In W Auhagen, C Bullerjahn & H Höge (Hrsg.), Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Band 22: Populäre Musik. Göttingen, Deutschland: Hogrefe.
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ISBN978-3-8017-2498-6
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Persistent Identifierhttps://hdl.handle.net/20.500.12034/2540
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Persistent Identifierhttps://doi.org/10.23668/psycharchives.2920
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Language of contentdeu
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PublisherHogrefe
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Is part ofAuhagen, W., Bullerjahn, C. & Höge, H. (Hrsg.). (2012). Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Band 22: Populäre Musik. Göttingen, Deutschland: Hogrefe.
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Keyword(s)Musikde_DE
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Keyword(s)Psychologiede_DE
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Keyword(s)Musicen_US
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Keyword(s)Popular Cultureen_US
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Keyword(s)Psychologyen_US
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Dewey Decimal Classification number(s)150
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TitlePopuläre Musik als Herausforderung für die Musikpsychologie. Eine kritische Bilanzde_DE
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TitlePopular music as a challenge for the psychology of music. A critical balance. [Translated with www.DeepL.com]en_US
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DRO typebookPart
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