Vom Miteinander, Gegeneinander und Nebeneinander in der Therapie. Anmerkungen zu Struktur und Dynamik der therapeutischen Beziehung

Zusammenfassung: Stabile therapeutische Beziehungen sind erwünscht. Ihr Zustandekommen (oder Nicht-Zustandekommen) unterliegt aber nicht bloß einer glücklichen Fügung bzw. einer zufälligen Passung persönlicher Eigenschaften (Patientin A versteht sich gut/nicht gut mit Therapeutin B), sondern kann in Verbindung gebracht werden mit Feldbedingungen im Gesamt der therapeutischen Situation, die eben nicht nur aus einzelnen Personen besteht, sondern auch aus deren Umwelten, der gemeinsam zu bewältigenden Aufgabe, weiteren Rahmenbedingungen und den Kräfteverhältnissen, die sich aus der wechselseitigen Beeinflussung ergeben. Aus dieser genuin gestaltpsychologischen Sicht werden Struktur und Dynamik der therapeutischen Beziehung untersucht: Was ist es, das zu einer gemeinschaftlichen Atmosphäre beiträgt, zum Gefühl, „an einem Strang zu ziehen“, um ein therapeutisches Ziel zu erreichen? Was lässt die Atmosphäre ins Feindselige „kippen“? Wann wird das Beziehungsgeschehen zum Selbstzweck ohne Dynamik in Hinblick auf die Zielerreichung? Anregungen und Hinweise dazu finden sich in klassischen Arbeiten zur Affektpsychologie (Dembo: „Der Ärger als dynamisches Problem“) bzw. in der Wahrnehmungspsychologie („Kippfiguren“). Abschließend wird der Frage nachgegangen, wie ein Umschlagen der Beziehung von einem Miteinander in ein Gegeneinander oder Nebeneinander verhindert werden kann, was also „kipp-resistent“ macht.

Abstract: Stable therapeutic relationships are desirable. Their occurrence (or non-occurrence) is not only subject to a lucky coincidence or a chance or a coincidental fit of personal characteristics (patient A gets along well/not well with therapist B), but can be linked to field conditions in the therapeutic situation as a whole, which not only consists of individual persons, but also of their psychological environments, the task to be accomplished together, other framework conditions and the balance of power that results from the mutual influence. From such a genuinely gestalt-psychological view, the structure and dynamics of the psychotherapeutic relationship are examined in this article: What is it that contributes to a collaborative atmosphere, to the feeling of "pulling together" to achieve a therapeutic goal? What makes the atmosphere "tip" into hostility? When does the relationship become an end in itself, without dynamics aimed at the achievement of the goal? Suggestions and hints can be found in classical Gestalt psychological works on affect psychology (Dembo: "Anger as a dynamic problem") or in perceptual psychology ("Tipping", ambiguous figures"). Finally, the question is how a change of the relationship from togetherness to hostility can be prevented, i.e. what might contribute to make the psychotherapeutic relationship "tilt-resistant".